Stimmen eingefangen in den sozialen Medien

Markus W.P.

Danke für die Einladung, aber der Name geht für mich nicht.


Karl R.
Den Titel find ich unglücklich gewählt und für das, was sich hier an Beiträgen sammelt, viel zu markig.
Sicher, es belastet mich auch, wenn ich in der Regel keine 500 Meter gehen brauche, bis ich, egal wo, einen wilden Müllhaufen finde.
Daraus ein Referat für ästhetischen Terrorismus zu konstruieren ist für meinen Geschmack overdressed, denn letztlich sind solche Abbildungen einfach ein Teilbereich von sozialdokumentarischer Fotografie, geben Aufschluss über Bildungsstand in – und Identifikation mit einer Stadt. Und so würde es mir als Titel auch schon reichen.
Manchen würde dann die Verortung fehlen.

Dann böte sich der Griff in die unsterbliche lokale Nomenklatur an: ‚WegGEschaut‘ oder ‚wegGEguckt‘, je nach Geschmack. kämen da in Frage.


Referat für ästhetischen Terrorismus!
Einkaufswagen. Verlassene Käfige des Alltags
Wie fahle Sätze in den Himmel geschlagen, so stehen sie, liegen sie, verrotten sie achtlos verlassen, sinnlos abgestellt und ihres Zwecks beraubt, ehemalige Objekte des Konsums, als ubiquitäre Signale eines passiv verlaufenden, zivilisatorischen Niedergangs auf Plätzen, Straßen, grünen Flächen, in Toreinfahrten, Hauseingängen.
Ihre metallenen Stäbe vergittern tausendfach die Welt, die sich täglich um sie dreht und doch zugleich gleichgültig an ihnen vorübergeht. Sie sind Verlassene, Zurückgelassene, Entwertete, seelenlose Hüllen, ihres Kraftfeldes Beraubte, Verratene, in den wirtschaftlichen Kreislauf bereits Eingepreiste, deren Verlustgehen weitergetragen wird an uns alle, wie eine okkulte Steuer.
Ihre ästhetische Darstellung, ihre Vergegenwärtigung – Ja, Bewusstmachung! – als Teil eines kollektiven Prozesses betrachten wir als liebevolle und potentiell heilsame Notwendigkeit. Ein Verschweigen, eine Akzeptanz wäre Verrat an der Menschheit.
Wir sind Verräter an der Gleichgültigkeit gegenüber den Verratenen, denn diese Gleichgültigkeit erscheint in ihrer Masse als Terror. Daher schieben wir die einst Geschobenen und dann an den Rand Abgeschobenen und Abgestellten zurück in den Fokus mit den Mitteln der Kunst.
Wir sind das Referat für ästhetischen Terrorismus!
Wir sind das RäT!

Karl R.
Ui, das liest sich ja wie ein neoexpressionistisches Manifest mit leicht fetischisierendem Charakter in Richtung auf ein Individual-Warentransportmittel.-
– So hab ich das noch nie gesehen.. :))
Aber das ändert ja nichts an dem, was ich oben geschrieben habe.

Ich werd bestimmt auch mal was beisteuern..


Reimar M.

Endlich. Ich schlage vor, ein Team zu bilden, welches einmal in zwei Wochen entführte und vergessene Einkaufswagen und vielleicht auch noch verlassene E-Scooter zu einer Skulptur vor dem Hans-Sachs-Haus zusammenträgt. Ich wäre dabei!


Bernd M.
@Reimar M.  Eine tolle Idee! Als Alternative: Der Aufbau des Werks im Foyer des Hans-Sachs-Hauses – als Ersatz für das ewig kaputte und deshalb abgehängte Mobile-Kunstwerk. Aber vielleicht auch als “Wechselausstellung” drinnen und draußen!

Ralf K.
Hello Freunde der Kunst im urbanen Raum, nicht nur Dreck ist Terror. Farbklecks auf der Wallstreet in Gelsen . Aufruf zum..

 


 

Detlef K.
@Ralf K. hat watt herrrrrrlisch


Heinz Niski

@Ralf K.

Zu deinem Schutz: auch der öffentliche Aufruf zu Straftaten ist strafbar.

Da dieses Streetart Rad eine von der Stadt anerkannte und geschützte Skulptur im öffentlichen Raum ist, werden Vandalismusschäden auch durch die kommunalen Bediensteten zur Anzeige gebracht. Bei der nächsten Zerstörungsorgie sollten Täter also darauf achten.

Zu deiner Info:

Wer den Überbringer der schlechten Nachricht köpfen lässt, macht aus der schlechten dennoch keine gute Nachricht. Dich stört der Hinweis auf die blutende Wunde mehr, als die Wunde selber. Als das herrenlose Rad jahrelang vor sich hin rostete, gab es keine Aufrufe zur Sachbeschädigung oder dass das Rad entfernt werden soll. Wird aber auf das Problem der Verslumung und Vermüllung künstlerisch hingewiesen, stört es einige.

In 8 Jahren gab es nur drei negative Rückmeldungen zu dieser Kunstaktion. Dafür aber zahlreiche Gespräche am und um das Rad mit Passanten, Nachbarn, Besuchergruppen, die nicht nur die Aktion verstanden, sondern ihr Herz über den Untergang der Stadt ausschütteten. Chinesische Reisegruppen, die im Restaurant gegenüber Mittagspause machten, haben Gruppenfotos am Rad gemacht, Kinder bleiben immer wieder dort stehen, freuen sich.

Seit 2015 werden kontinuierlich Repliken von berühmten Skulpturen an dem Rad angebracht. Es sind alle Stilepochen vertreten, viele Ikonen des Weltkulturerbes fanden als Nachbildung ihren Platz auf und an dem Rad. Was treibt einige Gelsener an, diese Figuren beharrlich zu zerstören, zu zertreten, zu zerschlagen, abzubrechen, durchzubrechen? Wie viel Aggressionen, wie viel Hass steckt in den Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, die nackte Skulpturen nicht ertragen, die fremdartige Sichtweisen nicht aushalten, die Müll, Abfall, Verrottendes um sich herum nicht wahrnehmen, Zitate und den Hinweis auf Schönheit aber zwanghaft ausmerzen müssen?

Nur um einige Repliken zu nennen: Munch, Venus von Willendorf, Degas, Magritte, Picasso, Frida Kahlo, Kaws, Banksy, Kubisten und und und….


WAZ Kultur & Fotografie
Aktualisiert: 09.04.2023, 07:04 | Lesedauer: 4 Minuten
Thomas Richter
Bernd Matzkowski (l.) und Heinz Niski vom Referat für ästhetischen Terrorismus fotografieren mit Gleichgesinnten herrenlose Einkaufswagen, die immer häufiger im Stadtbild zu finden sind.Foto: Heinrich Jung / FUNKE Foto ServicesGelsenkirchen. Referat für ästhetischen Terrorismus nennt sich ein Kollektiv aus Gelsenkirchener Kreativköpfen, das herrenlose Einkaufswagen fotografiert.Sie gehören in manchen Ecken der Stadt inzwischen schon beinahe zum Alltagsbild: herrenlose, mitten in der Gegend stehengelassene Einkaufswagen. Für viele Bürgerinnen und Bürger sind sie auf ihrem Fußweg durch die Stadt manchmal ein Hindernis, emotional aber stets ein absolutes Ärgernis. Nun hat sich ein Kollektiv, bestehend aus sechs Gelsenkirchener Kreativköpfen, der Sache angenommen. Dieses im Dezember 2022 gegründete Sextett nennt sich Referat für ästhetischen Terrorismus (RäT). Und es schaut aus einem völlig veränderten Blickwinkel auf diese stählernen Störenfriede auf vier Rollen.
Der Foto-Kalender ist auf der Homepage der Gruppe zu findenDas Konzept erklären Heinz Niski und Bernd Matzkowski, zwei Gründungsmitglieder dieser Gelsenkirchener Gruppierung: Wann immer einer von ihnen unterwegs einen von besagten Einkaufswagen erblickt, wird sofort das Smartphone oder die Kamera gezückt, um die manchmal bizarre, manchmal trostlose, aber stets aufbewahrungswürdige Szenerie bildlich festzuhalten. Ob in Toreinfahrten, vor verlassenen Hauseingängen oder mitten in der Fußgängerzone: Besagte Einkaufswagen sind fast überall anzutreffen.Wir taggen GElsen: Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt und auf TikTok. Oder besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.Mit den fertigen Fotos dieser ungewöhnlichen Motive füttert die Gruppe dann einen digitalen Kalender, der im Internet zu finden ist und aus 52 Blättern besteht – eines pro Kalenderwoche. Damit die Arbeiten aber nicht nur in der Online-Welt, sondern auch in der realen zu betrachten sind, sollen ausgewählte Aufnahmen zeitnah auch in den beiden Filialen der Buchhandlung Kottmann in der Altstadt und in Buer in den Schaufenstern ausgestellt werden.
Zu jedem Foto gibt’s einen humorigen, manchmal auch melancholischen Text

„Wir verfolgen keinen pädagogischen Ansatz, wollen hier niemand zu einem besseren, korrekten Verhalten umerziehen“, stellt Niski gleich zu Beginn klar. Wer einen Einkaufswagen vom Firmengelände wegschiebt, der begeht aus rein rechtlicher Sicht einen Diebstahl – egal, ob er oder sie das Gefährt auch nur drei Straßen vom Supermarkt entfernt schon wieder abstellt. „Uns ärgert die Haltung, die oft hinter solch einem Verhalten steht“, sagt Niski, „diese Gleichgültigkeit, diese Ignoranz, diese nicht vorhandene Achtsamkeit für Dinge, die einem nicht selbst gehören“.

Doch statt sich wie viele andere Zeitgenossen immer nur über dieses Fehlverhalten aufzuregen und sich zu ärgern, wagen die RäT-Mitglieder mit ihrem Fotoprojekt einen satirisch-humorigen, manchmal aber auch melancholischen Blick auf dieses so emotionalisierende Thema. Denn jedes Fotos auf jedem digitalen Kalenderblatt wurde mit einem Text angereichert. Manche augenzwinkernd zwischen den Zeilen formuliert, andere klingen aber fast schwermütig.
Wehmütige Erinnerungen an den Aalverkäufer in der Gelsenkirchener Altstadt

So wie etwa jener auf Kalenderblatt eins: Der Verfasser erinnert sich darin an den Aalverkäufer, der einst auf der Bahnhofstraße seine Ware lautstark anbot. Dieser sei aber schon längst verschwunden. „Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, realisiere ich, dass die goldenen Zeiten vorbei sind und dass die Stadt und ihre Menschen eine Tragödie erleben, die sich langsam aber sicher in ihr Inneres frisst.“ Das Foto dazu zeigt einen zurückgelassenen Einkaufswagen samt Tannenbaum, der an der oberirdischen Straßenbahn-Haltestelle zurückgelassen wurde.

„Diese Szenerien sind im Übrigen nicht gestellt. Wir fotografieren sie bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen genau so, wie wir sie vor Ort antreffen“, beteuern der Ückendorfer Kabarettist und Autor Matzkowski (70) und der in der Altstadt lebende Rentner Niski (69). Und was machen sie, nachdem sie das Foto geschossen haben? Sagen sie bei den Super- oder Baumärkten Bescheid, denen der jeweilige Wagen gehört. „Die Läden sind gar nicht groß interessiert, die Wagen zurückzubekommen“, schildert Niski seine bisherigen Erfahrungen. Bei Wagen-Dienstahl würde wohl sofort eine Versicherung der Märkte greifen. Dieser Schwund sei in der Kalkulation offensichtlich eingepreist.

Und so landen diese temporären Kunstobjekte am Ende da, wo sie aufgrund ihrer nach wie vor vorhandenen Funktionalität eigentlich überhaupt nicht hingehören: im Müll.

Der Kalender ist auf der Homepage der Gruppierung im Internet zu finden unter: https://terror.faktur.org.

https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchen-foto-kalender-zeigt-herrenlose-einkaufswagen-id238091633.html


.
.
.
Aufzeichnung des (gekürzten) Gesprächs mit Martina Emmerich in der WDR4 Sendung „Hier und Heute“ vom 12.04.23


 

0 0 votes
Article Rating

4 Antworten zu „Stimmen eingefangen in den sozialen Medien“

  1. Avatar von Bernd Matzkowski
    Bernd Matzkowski

    @Karl R.

    Ein unglücklicher Titel- overdressed? Stattdessen lieber ein ausgelutschtes GE-Wortspiel wie etwa WegGEschaut oder WegGEGuckt? Also underfucked statt overdressed? Neoexpressionistisch? Nein, altexpressionistisch – wie bei Lasker-Schüler, Benn, van Hoddis, Heym – mit einem Schuss Trakl und einer parodistischen Spiegelung des Manifestes der italienischen Futuristen und der überzeichneten Fanfarenklänge seiner Protagonisten: „Unsere Bilder werden gegenüber denen der Museen erglänzen, wie ein blendender Tag gegenüber einer nebligen Nacht … wir erklären, … dass man alle schon benutzten Sujets wegkehren muss, um unser wirbelndes Leben von Stahl, Stolz, Fieber und Schnelligkeit auszudrücken.“ (Umberto Boccioni, 1910). Auch ein wenig vom Alttestamentarischen und der Offenbarung des Johannes. All dem würde doch ein AusGElutscht nicht gerecht. Wie auch die alte Schildermalerei der Ästhetik einer Welt der zu Fetischen gemachten Waren nicht gerecht wird.

    Was sich früher (Stadt-)Verwaltung nannte, heißt heute Referat, etwa Referat für Kultur. Ein neuer Name, aber der alte Geist von syphilitischen Akten, morbiden Paragraphen, versumpften Regeln und einem verstaubten Dienst nach Vorschrift. Dieser Welt kommt nur die ästhetische Sprengung bei.

    Durch das RÄT!

    1. Avatar von Karl R.
      Karl R.

      Jetzt klingt es aber mehr wie GElaber.

      1. Avatar von Bernd Matzkowski
        Bernd Matzkowski

        GEschenkt!

  2. Avatar von Fen Omenon
    Fen Omenon

    „Referat für ästhetischen Terrorismus“ find ich gut. Der Name erinnert an das „Zentrum für politische Schönheit“ mit ihrem agressiven Humanismus. ❤

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4
0
Would love your thoughts, please comment.x