Woche 01

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

        >

 


Die Ballade vom Aalverkäufer

Manchmal denke ich an den Aalverkäufer, der in meiner Kindheit in der Vorweihnachtszeit seinen kleinen Verkaufsstand auf der Bahnhofstraße aufbaute. Seine Fähigkeit, das Gewicht jedes Aals mit der Hand exakt zu schätzen, war wie Magie. Eine Traube von Menschen umgab ihn stets, fasziniert von seinem Talent und der Show, die er bot. Obwohl er ein lustiger Mann war, neigte er zu spontanen Anfällen, bei denen er laut schrie und dabei den Aal, den er gerade in der Hand hielt, mit voller Wucht gegen die Fensterscheibe des Verkaufsstands schlug. Oft flog dabei etwas Aalglibber ins Publikum und die Leute erschreckten sich, was mich zutiefst erfreute. Doch trotz seiner exzentrischen Art und seiner subtilen Beleidigungen schätzten die Menschen seine Aale von hoher Qualität und vor allem die Kultur, die er mit sich in die Stadt brachte.

Aber mit den Jahren spürte ich eine gewisse Schwere in den Straßen und in den Menschen, die sich mit jedem Jahr intensivierte. Wie in der Geschichte von „Momo“, in der sich nach und nach die grauen Herren überall in der Stadt breitmachten und man es erst merkt, wenn man ihnen auf den Leim geht. Ich weiß gar nicht mehr, wann genau es mit den Einkaufswagen angefangen hat und damit, dass überall Müll in den Büschen liegt. Fünf Jahre oder vielleicht schon zehn? Ich frage mich, ob der Aalverkäufer diese Veränderungen hier noch erlebt hat oder ob er schon lange tot ist. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, realisiere ich, dass die goldenen Zeiten vorbei sind und dass die Stadt und ihre Menschen eine Tragödie erleben, die sich langsam aber sicher in ihr Inneres frisst. Ich würde für den Aalverkäufer jederzeit noch einmal die Bahnhofstraße betreten. Aber ich denke, er wird nicht mehr wiederkommen.


Januar 2023 Mo Die Mit Don Frei Sa So
Woche 01 02 03 04 05 06 07 08

 

5 1 vote
Article Rating

Eine Antwort zu „Woche 01“

  1. Avatar von Anastasia Kozcinsky
    Anastasia Kozcinsky

    Als ich noch recht jung war, sogar klein iwie, da gab mein Vater mir die Aufgabe, die von ihm gefangenen Aale, die an einer Leine zum trocknen hingen, qualvoll entschleimt in einer Salztonne, bevor es in den Räucherofen ging, also dort an der Leine Fliegen zu verscheuchen und was soll ich sagen: ich war eine stark beschäftigte 9- jährige und habe nur noch Fotos die mich daran erinnern. Die Aalfangjahre waren noch golden, der Mercedes ebenso und ich bin froh, daß ich iwann erfuhr, daß alles falsch war was ich erlernte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1
0
Would love your thoughts, please comment.x