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Alles beginnt hinter den Augen

 

Der Zerfall der Zivilisation zeigt sich nicht nur symptomatisch und als Spiegelbild in der äußeren Welt, sondern beginnt vielmehr im Inneren des Individuums als ein Mangel an Achtsamkeit und Selbstkontrolle. Von dort aus werden unbewusste Prozesse in Handlungen übertragen, die letztendlich unsere gemeinsame Welt formen. Es muss viel geschehen, bevor ein Einkaufswagen achtlos in den Straßen stehen gelassen wird. Oder es ist eben eine Menge nicht passiert.

Leider schalten viele Menschen im Alltag ihre bewusste Aufmerksamkeit ab. Sie sind entweder in ihren eigenen Gedanken und Impulsen gefangen oder in externen Medien vertieft.

Kennen Sie das, wenn Menschen im Supermarkt auf ihren Einkaufswagen gestützt wie orientierungslos durch die Gänge geistern, einzeln oder in Gruppen? Manchmal bleiben sie abrupt stehen, um ein einzelnes Produkt zu studieren, ohne zu bemerken, dass sie selbst oder ihr Einkaufswagen den Weg für andere blockieren. Manchmal sind sie mit sich selbst und ihrer Gruppendynamik beschäftigt, die sie aus der Außenwelt in den Laden getragen haben, und verursachen dadurch dieses Problem. In Gruppen auch gern in allseits unterhaltender Lautstärke.

Wenn Kinder mit im Spiel sind, wird ein Generationenproblem deutlich, denn Generation A wird Generation B kein aufmerksames und rücksichtsvolles Verhalten anderen Menschen gegenüber beibringen, da es in ihnen, warum auch immer, nicht vorhanden ist.

Und lassen Sie mich klarstellen – ich spreche hier nicht von alten oder sensorisch eingeschränkten Personen, noch von speziellen Kulturgruppen.

Andere Phänomene fallen mir ein. Etwa die Kopfhörerträger, die sich ihres Gehörsinnes berauben. Hören die ein Auto, das sich spontan nähert? Den Dieb, der von hinten zuschlägt?

Oder Menschen, die den ganzen Tag auf einen Bildschirm starren – das Smartphone, der Fernseher – obwohl der konsumierte Inhalt sie möglicherweise gar nicht wirklich anspricht oder sonstwie für ihr Leben relevant ist. Das mag zwar vergleichsweise harmlos sein, aber viele von uns enden am Ende des Tages vor dem Bildschirm und sehnen diesen Moment den ganzen Tag über herbei. Seit Jahrzehnten, seit der Existenz dieser Medien.

Die nächsten Generationen wachsen bereits mit kurzen, süchtig machenden Videoclips auf, die den Dopaminhaushalt im Gehirn beeinflussen. Eine extrem bedrohliche Situation, wenn man darüber nachdenkt. Denn, gewissermaßen tragen wir noch ungelöste zivilisatorische Konflikte als Altlasten mit uns herum, die uns jederzeit um die Ohren fliegen können. Und die Zeichen stehen auf Sturm.

Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es eine weitverbreitete Medieninkompetenz bei Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten gibt. Quellen und Informationen werden oft nicht ausreichend auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Informationen werden als wahr oder falsch betrachtet, basierend darauf, ob sie aus einer bestimmten Quelle stammen und ob sie das bestätigen oder widerlegen, was wir insgeheim schon immer geglaubt haben. Die Männer hinter dem Vorhang sind schuld. Die Männer hinter dem Vorhang sind nicht schuld. Die Männer hinter dem Vorhang existieren nur wegen unseres Verlangens nach ihnen.

Durch die Einführung künstlicher Intelligenzen werden sich diese Probleme verstärken. Einkaufswagen, die in den Straßen stehen, sind dann unser geringstes Problem.

Wenn Sie bis hierhin durchgehalten haben, stimmen Sie mir möglicherweise zu. Obwohl Sie sich beim Lesen vielleicht nach Ablenkung gesehnt haben oder Ihnen manch ein Satz zu lang und der Inhalt zu kompliziert war, haben Sie es nun fast zum Ende geschafft.

Habe ich nun noch eine Botschaft für Sie, einen Appell – gar Handlungsanweisungen? Werde ich Sie zur Meditation einladen, damit Sie Ihre Wahrnehmung, Ihre Impulskontrolle und damit langfristig vielleicht Ihr Leben verbessern? Nein.

Hier soll es ja um Einkaufswagen gehen. Und wenn sie diesen Text zu Ende lesen bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie diese nach dem Einkauf ordnungsgemäß zurückbringen.

 


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