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Perspektiven. Identität und Erinnerung.

 

Meine persönlichen, sentimentalen Erinnerungen, die eng mit Gelsenkirchen verbunden sind, sind nur wenige. Obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, konnte ich nie wirklich eine Identität als Gelsenkirchener entwickeln. Ich frage mich, ob das ein Vor- oder Nachteil ist. Zumindest kann man sagen, dass ich nicht von der Schwere der „besseren Vergangenheit“, den „goldenen Zeiten“, belastet bin. Zu meiner Kindheit gehörte das bereits zur unmittelbaren Vergangenheit. Fußball hatte auch nie eine Verbindung zu mir, da ich mich früher konsequent gegen gesträubt habe und er mir heute auch relativ egal ist. Die Geschichte des Bergbaus war für mich auch nur eine weitere Erzählung, die meine Eltern und Großeltern mir mitteilten. So real wie die Geschichten vom Zweiten Weltkrieg oder Opas Kindheit an der Mosel. Schwarzweißbilder, gesammelt wie Erinnerungen. Anekdoten, die nach dem Festtagsmahl erzählt werden, wenn man satt am Tisch sitzt.

Ich bin dankbar, dass ich noch Erinnerungen an das Innere des WEKA-Karrees aus den frühen 90ern habe. Das waren goldene Zeiten für mich als Kind. Eine unglaublich große Spielzeugabteilung, in der eine Spielzeugeisenbahn über uns hinwegfuhr. Oder war es bereits eine Carrera-Bahn? Ich weiß es heute nicht mehr. In meiner Erinnerung erstrahlt diese Abteilung im warmen, goldenen Kerzenlicht. Vielleicht wurde meine heutige Vorliebe für gedämpftes Licht dort geboren. Man konnte dort den ersten Game Boy in die Hand nehmen und darauf Super Mario und Kid Icarus spielen. Dort erfuhr man auch, dass andere Kinder manchmal nicht so saubere Hände hatten wie man selbst. Eine Erinnerung, die kürzlich wieder lebendig wurde, als ich einen dieser Elektroroller ausprobierte, die einem heutzutage überall den Weg versperren.

Zur Vorweihnachtszeit gab es dort auch immer aufwendig dekorierte Schaufenster, hinter denen sich beim Drücken eines Knopfes auf der Scheibe ein Spielzeug zum Leben erwecken ließ. Eine weitere wundervolle Erinnerung. Solch liebevoll dekorierte Fensterscheiben gibt es heutzutage nicht mehr, und selbst außerhalb von Gelsenkirchen habe ich so etwas nie wieder gesehen. Alles in allem konnte bisher nur die Magie der Innenstadt von Prag an die Qualität dieser Kindheitserinnerungen heranreichen.

Wie prägen unsere Erinnerungen und die Identifikation mit Orten oder Gemeinschaften unsere Wahrnehmung von Identität, Geschichte und Vergangenheit? Ich weiß heutzutage sehr gut, dass persönliche Erinnerungen, eigene Träume und Erfahrungen wichtiger sind, als die Außenwelt mit ihrem täglichen Gebrüll. Dennoch lässt sich die Außenwelt und ihr fortlaufender Einfluss auf die mentale Großwetterlage nicht wegleugnen. Ich weiß auch, dass ein halber Liter Bier in Prag für die Hälfte der Preise von hier zu haben ist. Die letzte Konsequenz aus diesen Fragen und Feststellungen – das mag die Geschichte entscheiden. Der Autor entzieht sich an dieser Stelle bewusst seiner weiteren Verantwortung und lässt den geneigten Leser mit den ggf. entstandenen Fragen nun allein.


Oktober

2023

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